Tinte-trilogie, Band 1 "Platinow"

Platinow sitzt auf den Stufen der Kathedrale zwischen dem schlafenden und dem brüllenden Löwen und betrachtet die Aufteilung des Platzes. Links eine Reisegruppe aufgedunsener, schlechthäutiger Mannheimer, gefesselt von Perlenketten, die vor der neuen Glasarchitektur knien und um Weißbier und Leberwurst flehen. Rechts Qat kauende Samenhändler aus Holland, die meisten schwarz und Allergiker. Ein Mann mit Schnauzbart erhebt sich aus beiden Gruppen und predigt zu den Zementmischern.

 

„Hätte ich doch eine schöne Frau“, sagt Platinow zu sich selbst und krault seinen Koboldmaki, der eine Heuschrecke zerbeißt. Es ist 11 Uhr 16. Äpfelchen fährt jetzt gerade mit dem ICE in Karlsruhe ein. Platinow wünscht sich auch eine Arbeit. Kein Schloss, keine Weltreise. Nur Arbeit, die Spaß macht. Dachdecker, das wäre was für ihn. Oder Kaffeetester. Doch am allerliebsten hätte er jetzt eine schöne Frau. Nicht Äpfelchen, der er immer wieder kategorisch sagt, dass er sie nicht liebt, und die doch immer wieder kommt. Von Karlsruhe nach Tinte. Jede Woche zu den Samstagen. Ist mutig, fleißig und verträgt keinen Alkohol. Ein aussichtsloses Verhältnis.

 

Der Koboldmaki furzt. Heißt Muslim, nach dem Land, in dem er geboren wurde. „Was für Beine“, denkt Platinow an eine Vorübergehende. Und der Ginster blüht. Drinnen in der Kirche fangen sie jetzt an zu singen: „Niemals ohne Gummi“, oder etwas Ähnliches. Die Samenhändler horchen kurz auf, die Mannheimer robben auf den Knien ins Restaurant, denn am Main ist Überschwemmung wie bei Platinow zu Hause. Deswegen die Buße-Tour. „Mann, was für ein Bauch“, denkt er. Ein Mann mit einer blauen Hand bietet ihm Dessous, Uhren und Handys an. Platinow hat keinen Bedarf. Trotz 40 Prozent Preisvorteil. Der Prediger mit dem Schnauzbart ist zu Ende. Er steigt auf sein Mountainbike und radelt in die Sonne.

 

Neben Platinow raschelt eine Zeitung. Er holt sein Handy raus und ruft die Nummer auf seinem Handgelenk an. Eine Falknerei, oben auf dem Hüterich.

 

„Brockmüller und Stinft. Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“

 

„Platinow. Guten Tag. Ich rufe wegen dem Job an.“

 

„Heißt es nicht: wegen des Jobs?“

 

„Äh, das weiß ich nicht. Ich bin nicht so gut in das.“

 

„Das macht nichts. Sie sollen ja auch nur saubermachen, füttern und Vogellaute imitieren. Können Sie das?“

 

„Ich will’s versuchen.“

 

„Dann kommen Sie um zwei hierher. Schaffen Sie das?“

 

„Ich denke schon.“

 

Platinow nimmt Muslim und schlendert über den kleinen Parkplatz neben der Kirche. Auf dem spukt's. Neugierige Blicke finden hier keine Ruhe. Irren umher und machen die Menschen nervös. Aber nicht, wenn die Sonne scheint. Auch auf dem Hüterich soll es spuken. Da wurde mal die Demokratie ausgerufen und die Genetik auch. Heidegger soll da gewohnt haben und die Liebe. Aber das kann man alles nicht mehr so genau abschätzen. Auf jeden Fall steht da jetzt neben der Burgruine und der Falknerei ein Handy-Sendemast. Seitdem ist es dort 5 Grad wärmer und das Reichsblindenwerk bekleidet in einer extra Hütte Gespenster, die Heuchelei und Verrat in Beruf und Beziehung büßen. Aber Platinow fürchtet keine Ruhelosen. Platinow hasst den Stillstand. Jetzt schon drei Wochen, seit er vom Spargelstechen nach Hause kam.

 

Das Handy klingelt. Äpfelchen ist’s. Gut angekommen und so. Platinow zerreißt es das Herz über das sture Liebenwollen.

 

Er bringt Muslim zu Ernst in die Kneipe. Dort darf er die letzte Cosmopolitan zerfetzen. Ernst hat schlechte Laune. Seine Frau aus Surinam hat PMS und will Problemgespräche führen. Nils sitzt wie immer vor Dotterschnaps und fühlt Schwermut. Der Fahrradständer rostet. Ein paar S-Bahn-Rowdies stillen ihren Lebenshunger am Flipper. Ein Besuchs-Chinese lässt sich vor Van Goghs Sonnenblumen über der Musikbox knipsen. Der Wettergott spielt Zimmerkegeln mit dem langsamen Architekten um das Recht zum außerehelichen Beischlaf mit des anderen Gattin.

 

Reinigung von Treppenhäusern, Pflege von Grünanlagen, Winterdienst, Minigolfbahn. Was hat er in den letzten Monaten nicht alles getan. Hätte er doch irgendwelche Ambitionen.

 

Platinow verabschiedet sich. Er pflückt ein paar Hyazinthen als olfaktorische Wegzehrung aus dem Verkehrsrondell und besteigt die Straßenbahn. Über Tinte kreisen die ersten Geier.

 

In der Straßenbahn sitzt LKW. Platinow schießt das Blut in den Kopf. Fluchtreflex. Aber sie hat ihn schon gesehen.

 

„Für mich?“ lächelt sie frech.

 

„Äh, nööjaähja.“ Platinow reicht ihr die Dreifarbigkeit.

 

„Woher wusstest du, dass wir uns treffen würden?“

 

„Na ja, Eingebung.“

 

„Und für wen sind die wirklich?“ lacht sie und reicht ihm den Strauss zurück.

 

„Nee, behalt mal. Ich muss mich auf dem Hüterich vorstellen.“

 

„Bei der neuen Partei?“

 

„Welcher Partei?“

 

„Na auf dem Hüterich hat sich die WMSD eingenistet. Ganz schlimme Finger, sagt die Zeitung.“

 

„WMTS?“

 

„Das ist die Abkürzung für Wahrheit, Menschenliebe, Selbstkritik, Duldsamkeit. Irgend so eine Sekte oder Partei.“

 

„Nö, die Falknerei sucht eine Hilfskraft.“

 

„Viel Glück! Ich muss hier raus. Vielleicht rufst du mal an. Und: Danke für die Blumen.“

 

Platinow zittert und schwitzt. Deswegen steigt er beim Hauptbahnhof aus, holt aus dem Schließfach seine gescheckt-hellbraune Adidas-Reisetasche mit den fleischigen Griffen und zieht sich was Passendes an. Camouflage-Kampfanzug mit roten Pumps. Russ-Meyer-T-Shirt drunter und etwas Kajal unter die Augen. Die WMSD geht ihm so wenig aus dem Kopf wie die Begegnung mit LKW. Noch eine Stunde Zeit. Er beschließt zu Fuß den Hüterich hinaufzulaufen. Durch Raps, Wein und Eiche. Seine Gelenke knacken. Sein Herz bumpert. Liebe ist doch irgendwie das Wesentliche, denkt er und an LKWs schönen Körper.

 

Kurz hinter der Stadt begegnet ihm Käsmann.

 

„S’wird Gewitter geben.“

 

„Keine Zeit.“

 

Dann hört er Kindergekreische aus der Kuhflucht. Baden unterm Wasserfall.

 

Was könnte wohl besser für eine geschundene Seele ohne Ehrgeiz sein als Bergsteigen in Pumps? Um Viertel nach Fünf ist Platinow jedenfalls an der Falknerei. Ein paar Rentner schütteln sich die Milben aus den Kostümen. Platinow huscht von Baum zu Baum, zum Lesbentreff und von dort zum Verwaltungshochhaus der Falknerei. Er klingelt bei „Fußtruppen“. Die ihm vom Handy bekannte Stimme antwortet kühl aus den Bergen: „Sie sind zu spät.“

 

„Hab ‘ne Verflossene getroffen. Deswegen musste ich zu Fuß gehen.“

 

„Reinkommen!“ schnarrt es.

 

„Danke!“ Platinow fühlt sich müde und gut.

 

Drinnen, im Kühlen, erwartet ihn er selbst mit 24 im schwarzen Anzug mit weißem Hemd.

 

„Setzen!“

 

Er selbst mit 24 deutet auf eine unbehandelte Holzbank aus dem Baumarkt.

 

„Bevor Sie hier anfangen können, wollen wir erst einmal wissen, wer Sie sind.“

 

Platinow nickt, weniger verwirrt als es zu erwarten wäre.

 

„Stehen Sie auf dicke, blonde Zöpfe?“

 

„Ist das ein Intelligenztest?“

 

„Bitte beantworten Sie die Fragen.“

 

„Ja.“

 

„Haben Sie schon mal an sich selbst mit einem Klistier rumgespielt?“

 

„Eine frühere Freundin fand das gut.“

 

„Würden Sie auch im Straßenbau arbeiten?“

 

„Wenn das Geld stimmt.“

 

„Stellen Sie sich vor, Sie kucken gerade Fessel-Sex im Internet und ihre Mutter kommt rein. Wollen Sie sie töten?“

 

„Nein. Natürlich nicht.“

 

„Mögen Sie die Schweiz?“

 

„Nur die Landschaft.“

 

„Wein- oder Biertrinker?“

 

„Bier.“

 

„Angst vor Haarausfall?“

 

„Nein.“

 

„Klimatisierte Wohnung oder Fensterlüftung?

 

„Normal.“

 

„Rhein oder Elbe, wer ist länger?“

 

„Rhein.“

 

„Heute schon gefickt?“

 

„Ja.“

 

„War’s schön?“

 

„Wie immer.“

 

„Danke. Jetzt bitte hier unterschreiben. Die Frau dort zeigt Ihnen Ihr Zimmer.“

 

„Ich muss hier wohnen?“

 

„Bis auf weiteres.“

 

„Und das Geld“

 

„70 pro Stunde minus 300 Kost und Logis im Monat.“

 

„OK.“

 

„Ihre Verantwortung.“ Er selbst mit 24 zeigt auf eine herrliche Asiatin mit dicken schwarzen Zöpfen. Die lächelt sanft, reicht Platinow die Hand und führt ihn ab durch eine Tür aus Blauracken.

 

 

 

***

 

 

 

Platinow ist ein wenig befremdet. Er sitzt auf einer Pritsche aus dem Baumarkt. Sein Zimmer ist eine karge Höhle, das Fenster ein drei-hand-hoher, drei Meter breiter Schlitz, Blick auf Tinte im Gewitterregen. Schreibtisch, Computer, Fernseher, Ruderbank. Über die Decke ziehen endlose Karawanen winziger Kamele, die scheinbar aus der Küche kommen. Aber wirklich befremdlich ist, dass die Asiatin auf einem Hocker sitzt und sich die Fußnägel lackiert.

 

„Wie heißen Sie?“

 

„Das sagte doch der Mann am Empfang schon: Ihre Verantwortung.“

 

„Arbeiten Sie auch hier?“

 

„Natürlich. Hier drinnen.“

 

„Wie? Hier drinnen? In meinem Zimmer?“

 

„Ich bin das lebende Inventar. Ich putze für Sie, unterhalte Sie. Und nachts schlafe ich mit Ihnen.“

 

„Nur nachts?“

 

„Klar. Tagsüber arbeiten Sie ja.“

 

Platinow kriegt Schluckauf.

 

„Darf ich was zu trinken?“

 

„Bier? Wein? Sekt? Wasser? Cola?“

 

„Wasser ist gut.“

 

Ihre Verantwortung pustet auf den Nagellack, der dabei seine Farbe verändert, und sucht dann die Küche auf. Die liegt hinter der Ruderbank und ist auch sehr klein. Alles ungefähr halb so groß wie Deutsche Industrie Norm. Ihre Verantwortung bückt sich und holt aus dem Miniatur-Kühlschrank eine kleine Flasche Evian. Nachdem Platinow getrunken und seinen Schluckauf vergessen hat, traut er sich eine persönliche Frage:

 

„Haben Sie ein Ziel?“

 

Die Frau lächelt.

 

„Ein Ziel? Nein. Ich bin hier. Das reicht doch.“

 

Da klopft es. Ein sehr höflicher junger Mann im schwarzen Kittel steht draußen.

 

„Ich bin Ihr Stimmtrainer. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“

 

Ihre Verantwortung lächelt und winkt.

 

„Bis später, mein Süßer.“

 

Sehr befremdlich.

 

Sie schreiten einen langen Gang, gesäumt von unzähligen Vitrinen, hinunter. Platinow hat die darin befindlichen Dinge noch nie gesehen. Merkwürdig verrenkte Figuren, komplexe Apparate, staubige Folianten, eingelegte Lebewesen, dreidimensionale Schachspiele, Kinderbilder, gemalt mit Wachsmalstiften, Tand und Textilien aus aller Welt und der Klapperstorch. Sie betreten ein Zimmer – Blick auf den Hindukusch, Möbel vom Baumarkt.

 

„Da wären wir. Nehmen Sie Platz.“

 

Platinow findet keine Ruhe. Der Mann holt ein dickes Kabel unter dem Schreibtisch hervor und befestigt es an einem seiner Backenzähne. Sofort bekommt er die Augen des Karpatenuhus, einen deutschen Akzent und Buddhas Lächeln.

 

„So. Ich heiße Paul. Wie Ihr Großvater. Wir haben Sie für diese Schulung auserkoren...“

 

„Aber ich habe doch angerufen“, unterbricht ihn Platinow.

 

„Wie man es nimmt.“

 

Das Lächeln macht Platinow Sorgen.

 

„Wir haben Sie also ausgesucht, weil Sie so völlig ohne Sinn leben.“

 

Platinows Handy klingelt. Es ist Äpfelchen. Er lässt sie gar nicht erst zu Wort kommen: „Äpfelchen. Wir werden uns nie wieder sehen.“ Er drückt sie weg, stellt das Gerät ab und wirft es in den Mülleimer.

 

„Sehr gut. Sie begreifen außerordentlich schnell.“

 

Platinow fühlt sich geschmeichelt. Er spürt, hier kommt die ganz große Welt.

 

„Ihre Schulung durchläuft drei Phasen: Kultur, Natur, Terrorismus.“

 

„Terrorismus?“

 

„Das ist das Ziel. Terrorismus gegen die Gläubigen. Die Muslims, die Christen, die Glücksspieler und Romantiker, die Ideologen und ihre Gefolgsleute. Wir arbeiten an einer neuen Demokratie des freien Bürgerwillens, gleichberechtigt, offen, sozial und skeptisch. Dazu müssen wir die Krankheit des Glaubens völlig ausmerzen. Und zwar so, dass es die Betreffenden überhaupt nicht merken.“

 

„Und wie soll das gehen?“

 

„Sehen Sie: Kulturelle Abschottung ist der Beginn jeder Selbstzerstörung. Deswegen beschleunigen wir die Komplexität in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft und damit trennen wir die Lebensfrohen von den Gewalttätigen. Denn nur, wer Komplexität aushalten und nutzen kann, kann Teil einer friedlichen, glücklichen und unsterblichen neuen Gesellschaft sein. Wer nicht, der arbeitet bereits an der eigenen Zerstörung. Wir müssen nur noch die Fremdopfer minimieren, die diese Selbstzerstörung immer noch mit sich bringt.“

 

„Und wie werde ich ein solcher Terrorist?“

 

„Wir beginnen mit der Kultur. Das ist am einfachsten, weil sie das komplexe Große durch Verwirrung und Erklärung systematisiert. Sie werden also des Weltwissens teilhaftig. Ihre extrem verkrüppelte Neugier werden wir mit technischen und medizinischen Mitteln umgehen, so dass sie gleich morgen ins Training einsteigen können.“

 

„Bekomme ich dann auch so einen schicken Schlauch am Zahn?“

 

„So ist es. In zwei oder drei Wochen haben Sie die Grundmodule des menschlichen Miteinanders und die möglichen Formen der Kommunikation und des Ausdrucks verstanden. Dann beginnen wir mit der Natur. Bei diesem Lehrgang entschlüsseln wir Ihnen alle Naturgesetze. Nach einigen Wochen könne Sie dann in die militärischen Übungen eintreten, so dass Sie spätestens Ostern mit der Zerstörung der ängstlichen Phantasie aktiv werden können. Noch Fragen?“

 

„Nein, das wird sich schon alles zeigen.“

 

„Keine Trauer über Ihr altes Leben?“

 

„Nein. Ich würde nur gerne meinen Koboldmaki behalten. Ist das möglich?“

 

„Sie werden ihn bereits in Ihrem neuen Domizil antreffen. Herr Platinow, ich danke Ihnen für Ihre unkomplizierte Mitarbeit.“

 

„Nichts zu danken. Mir war eh fad.“

 

 

 

***

 

 

 

„Darf ich Ihnen einen neuen Namen geben? Ihre Verantwortung ist nicht schön.“

 

„Bitte sehr, welchen Sie möchten.“

 

„Sind Sie einverstanden, wenn ich Sie Kung Fu nenne?“

 

„Natürlich.“

 

Platinow lehnt an seinem Fensterschlitz und sieht hinunter auf Tinte, eine Kleinstadt von wenigen Millionen, Geburtsort von Jesus, Tim und Struppi und der Renaissance, ein freundlicher Moloch mit vielen Verkehrstoten, vielen Fruchtfliegen und sechs Opernhäusern. Sehr geregelte Aggressionen, ein tolles naturhistorisches Museum.

 

Platinow hat so viele Fragen. Mit welcher soll er anfangen?

 

„Warum sind Sie hier?“

 

Kung Fu blickt vom Spiel mit Muslim um ein heruntergefallenes Kamel auf, das auf der grauen Decke des Bettes zappelt. Das nützt Muslim, um es schnell in den Mund zu stecken.

 

„Hass.“

 

„Wie? Hass?“

 

„Hass auf mich. Hass auf die Welt.“

 

„Aber warum das denn?“

 

„Ich war immer besonders schön. Schon als Kind. Das macht einen maßlos und leer.“

 

„Aber ist man nicht glücklich, wenn man so schön ist?“

 

„Kann man glücklich sein, wenn einem die Menschen nur mit Neid, Gier, Geilheit und sklavischem Getue begegnen?“

 

„Aber kann man nicht auch anders leben, wenn man das mal durchschaut hat?“

 

„Tu ich doch.“

 

„Hier?“

 

„Ja, hier.“

 

Platinow ist noch immer zu verwirrt, um erregt zu werden, und fragt sich außerdem, ob er anders auf diese Frau reagieren kann als mit Neid, Gier, Geilheit und sklavischem Getue. Kung Fu lächelt.

 

„Die Lösung ist, das gut zu finden. Sich wehren, erzeugt Hass, aber der Ergebung folgt eine unheimliche sinnliche Ruhe mit großen geistigen Bergtouren.“

 

Platinow nickt.

 

„Und die Liebe? Haben Sie nie verwirrende Gefühle, die Sie aus der Bahn werfen?“

 

„Alle stellen mir diese Frage, wenn Sie hier ankommen. Ich fühle langsam, aber gründlich. Deswegen lebe ich für die Freude. Freude geben, Freude sehen, Freude fühlen. Das ist Glück, wie ich es liebe.“

 

„Und die Verzehrung nach einem Menschen, der einem den Verstand raubt?“

 

„Sie sind niedlich.“

 

Sie geht zu Platinow, nimmt ihn in den Arm und raubt ihm den Verstand. Darüber wird es Nacht. Die Nachtigall singt, der Mond scheint herein, Muslim lauert vor der Küche und schlägt sich den Magen mit Kamelen voll. Platinow bestaunt die nackte Schönheit an seiner Seite und sieht LKW.

 

Er denkt, von der Situation überwältigt: „Was fühle ich? Es ist nichts Absolutes. Aber es ist wunderbar.“

 

Er schmiegt sich wieder an Kung Fu. Die wacht auf.

 

„Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Alles ist in guten Händen.“

 

„Aber die Welt ist so sonderbar. Manchmal verändern kleine Dinge ganze Lebenswege, und manchmal geschieht Großes und man ist kaum ergriffen.“

 

„Und wie ist es jetzt?“

 

„Ich verstehe es noch nicht. Es ist zuviel. Noch heute Mittag dachte ich, ich will LKW wiederhaben und Kinder kriegen. Und jetzt liege ich hier und kann es kaum fassen. Ist das alles Spuk?“

 

Kung Fu legt ihre Hände um seinen Hoden und sieht ihm direkter in die Augen als er es ertragen kann.

 

„Lass es doch einfach auf dich zukommen. Du hast doch eh die Kontrolle verloren.“

 

„Kann ich dir denn trauen?“

 

„Wenn ich jetzt Ja! sage, welchen Wert hat das? Schlaf jetzt. Morgen wird ein anstrengender Tag.“

 

„Ich kann nicht schlafen mit solch einer Erektion.“

 

„Dann komm.“

 

 

 

***

 

 

 

Als Platinow erwacht, steht er nackt auf einer Bühne. Aus dem Dunklen blicken Menschen auf seinen Pimmel. Er muss lachen.

 

Dann schreien sie im Chor: „Was wärst du gerne? Was wärst du gerne? Was wärst du gerne?“

 

Platinow antwortet mit merkwürdigen Lauten. Das Publikum applaudiert und gerät völlig aus dem Häuschen.

 

Seine Mutter erscheint von rechts, nackt und hässlich, reicht ihm eine israelische Maschinenpistole: „Töte sie!“

 

Dies ist die erste Entscheidung. Platinow mäht seine Mutter nieder und erschießt dann die, die noch immer applaudieren.

 

Hinter ihm erscheint Gott: „Es wurde verstanden. Nun trete hinüber zu den Kühen.“

 

Platinow folgt den Zeichen, eindeutigen Zeichen, zu einer großen Leere auf der Oberfläche einer Leber. Der Himmel ist blau, es ist kühl.

 

„Kann ich ein Fell?“

 

Gott schnaubt missmutig und reicht ihm den Nerz einer rothaarigen Russin, die in einer Senke kauert und kotet.

 

„Ich ekele mich nicht. Warum?“

 

„Weil deine Gefühle durcheinander sind. Du bist jetzt bei den Einsamen, die nicht alleine sein können. Und ich danke dir dafür, dass du mich hierher gebracht hast.“

 

„Aber du hast doch...“

 

„Wie man es nimmt.“

 

Platinow sieht in die Uhuaugen und lacht: „Woher habe ich diese Stärke?“

 

„Nicht übermütig werden. Was du fühlst ist noch immer familiär.“

 

Platinow tropft es aus den Augen.

 

„Siehst du. Der Weg ist noch weit.“

 

„Und es ist so eng zwischen Freuden und Tränen. Was geschieht jetzt?“

 

„Entscheide dich.“

 

Platinow sieht die rothaarige Frau an, die sich mit spitzen Fingernägeln im Gesicht herumpult, und reicht ihr ein Messer. Er zieht ihren Pelz an und schreitet voran. Musik erklingt. Welche Musik?

 

„Gibt es ein Leben nach dem Tod?“

 

„Nein!“

 

„Sicher?“

 

„Ganz sicher.“

 

Ein Hahn begegnet ihnen. Er hat alle Strafen dabei. Platinow kniet vor den ausgebreiteten Waren und nimmt die Gier.

 

„Ich habe Hunger.“

 

„Iss!“

 

In der Pfanne braten Engel mit Lauch.

 

„Was bedeutet das?“

 

„Entscheide dich.“

 

„Ich verliere mich gerade.“

 

„Dann Stopp!“

 

Platinow sitzt wieder im Untersuchungszimmer, Paul ihm gegenüber. Seine Muskeln zucken im Rhythmus seines Herzens. Nach einer Stunde kann er einschlafen. Paul hat immer gelächelt.

 

 

 

***

 

 

 

Kung Fu weckt ihn mit kühlen Küssen auf die Brustwarzen. Sie sieht ganz merkwürdig glücklich aus.

 

„Nun? Weißt du jetzt, warum ich hier bin?“

 

„Um mich zu lieben?“

 

„So ungefähr.“

 

Sie lacht, greift nach seinem Glied und macht es steif. Dann schiebt sie es rein. Zwei, drei Stunden wiegen sie so, bis Muslim eifersüchtig wird. Dann gibt’s Rohkost und Spaghetti.

 

„Weißt du, wie Schalke gespielt hat?“

 

„4:1 gewonnen.“

 

„Schick.“

 

Platinow kaut nachdenklich vor sich hin.

 

„Hätte ich heute sterben können?“

 

„Ja.“

 

„Kann man sich dagegen schützen?“

 

„Nein.“

 

Platinow krault Muslim.

 

„Ich habe Angst.“

 

„Warum solltest du Angst vor dem Ende des Bewusstseins haben?“

 

Kung Fu verschlingt Unmengen von Spaghetti.

 

„Ist das nicht natürlich?“

 

„Alles ist natürlich. Das hilft einem nicht weiter. Du musst dich entscheiden.“

 

„Ich muss mich entscheiden“, murmelt Platinow und wird gleich wieder besserer Laune.

 

„Wollen wir Kniffel spielen?“

 

„Ok.“

 

Unten in der Stadt läuft derweil ein Platinow-Klon herum, zieht in Platinows Bude, repariert den Wasserschaden, verabschiedet sich von allen für eine Weltreise, nur von Äpfelchen und LKW nicht, und legt sich dann ins World Trade Center zum Sterben. Täglich regnet es goldene Rosen auf sein Grab. Und Platinow hat unglaubliches Glück beim Würfeln.

 

„Was hast du früher gemacht, Kung Fu, bevor du hier eingetreten bist?“

 

„Syndikat, Sammlerin, Ehefrau, Spionin, Laufsteg, Therapie, Fotos, Mätresse, Musik, Therapie, Übersetzerin, alles mögliche. Ich habe auch mal eine Autobiografie geschrieben, aber das ist lange her.“

 

Kung Fu zuckt mit den Schultern und wirft einen Sechser-Kniffel.

 

„Du träumst eigentlich von Treue, nicht wahr?“ fragt sie dann unvermittelt.

 

Platinow weiß nicht.

 

„Nein, nicht um jeden Preis. Aber ich finde, Vertrauen ist etwas Großartiges.“

 

„Du bist damit sehr freigiebig. Das macht dich attraktiv.“

 

„Aber manchmal hätte ich gerne mehr Schutzmechanismen. Man wird so leicht so schwer enttäuscht.“

 

„Du hast recht gut funktionierende Schutzmechanismen, lieber Platinow. Vielleicht zu gut funktionierende.“

 

„Ok. Ich bin sehr schüchtern.“

 

„Ändere es.“

 

„Warst du mal feige?“

 

„Jeder ist feige. Aber du bist auch sehr mutig. Nur auf anderen Gebieten. Also musst du jemand finden, dem deine Feigheit zum Anlass für einen mutigen Schritt nimmt, und du wirst sehen, dein Mut wird sich revanchieren.“

 

„Du hältst Liebe für ein Zahnradmodell?“

 

„Man sollte sich diesem Gedanken vielleicht nicht ganz verschließen, oder? Liebe ist wie Kultur: Austausch. Dieser Austausch ist durch Interessen geregelt, über die wir uns mit unserem Gefühlsschleier gerne hinwegtäuschen.“

 

„Die Liebe ist komplexer.“

 

Kung Fu lacht: „Ich bin dankbar für diese Empörung.“

 

Platinow versteht das nicht, aber schämt sich, zu fragen. Sie spielen weiter. Muslim schläft in Platinows Schoß. In Gaza-Stadt schlagen Raketen ein. Eine amerikanische Regierung warnt vor neuen Terroranschlägen und unten, in Tinte, auf der Schlittschuhbahn, schaut ein Mädchen einem Jungen fest in die Augen und der kriegt sofort die Panik und flieht. Goldig, nicht? Allerdings nur von außen.

 

 

 

***

 

 

 

Platinow erwacht mit schlechtem Gewissen. Überall stapeln sich Bücher und er hat keins davon gelesen. In seinem Gehirn läuft nur ein Fernseher. Wütend über sich selbst würgt er Harry Potter so lange, bis der seine Truppen schickt: Männer ohne Skrupel und Frauen ohne Gefühle.

 

„Ich hab's doch gewusst: Das ist eure Gerechtigkeit!“ schreit Platinow und flieht in eine schreckliche Verkleidung aus Demut und Kopfschütteln. Kein Nachtsichtgerät und keine Flirtmaschine kann ihn jetzt noch erkennen. Harry Potter wird Mittelstürmer beim FC Fulham, mit denen er absteigt. Platinow versucht es erst einmal mit „Der Name der Rose“. Sein schlechtes Gewissen hämmert weiter von innen gegen den Zinksarg.

 

„Du musst dich entscheiden! Willst du Wissen?“

 

„Kann ich denn Nein sagen?“

 

„Nein!“

 

Und mit einem grässlichen Lachen springt Gott aus dem Zinksarg und bringt Platinow zur Bar Mizwa.

 

„Mama, ich mach’s wieder gut!“, ruft Platinow hinüber zu einer alten Frau, der er jahrelang Geld aus dem Portemonnaie geklaut hatte, das sich in ihrer Manteltasche an der Garderobe befand.

 

„Schon gut, Junge. Zahl Steuern und meide den Krieg, äh, ich meine natürlich Thomas Mann.“

 

Deutsche Heldensagen.

 

Gott sagt: „Du hast keine Fehler.“

 

Das versteht Platinow nicht. Sie treten ein in den Deutschen Tannenwald. Dort tanzen orthodoxe Juden auf einer Lichtung wild im Kreis und weigern sich, über ihre Friedhöfe zu fliegen. Platinow will dichten, aber Blut fließt über den Nahen Osten. Und Platinow ist nicht Nero. Er schaut sich hilfesuchend nach Gott um. Der sortiert die Bücher wieder in die Regale, aber Platinow muss vorwärts gehen. Denn er hat keine Fehler. Er ist also erwachsen und steht hinter dem Zaun und schaut zu, wie andere Spaß haben. Es sind die Flüchtlinge beim Basketball. Sie lachen und Platinow denkt „Globalisierung“ und merkt, dass ihm niemand einfällt, den er jetzt gerne bei sich hätte. Er ist schutzlos. Er muss etwas tun. Er braucht eine Aufgabe, einen Platz in der Welt, der ihm Anerkennung gibt.

 

Sein Vater tritt auf: „Als alter Feldwebel gewinne ich in der Verwirrung Vertrauen in die Situation.“

 

Er nimmt Platinow an der Hand und zeigt ihm seinen Tisch, den Schultisch. Platinow ist so dankbar, dass er schluchzen muss.

 

„Traue nie dem ersten Anschein, vor allem bei Menschen und Frauen.“

 

Papa zwinkert und geht wieder hinter den Tresen seines Imbisses. Dann beginnt Platinows Reise durch die Motive des Kunstschaffens. Das Ich und das sie, die Furcht und die Sehnsucht, die Funken und die Klarheit, der Ehrgeiz und die Verlegenheit, Schuld und Scham, Temperament und Farbe, Geiz, Gier, Neid und Verrat, Süße und Bitterkeit, Lüge und Tod. Und all die anderen eben. Also Fährte und Zeremonie, Schleim und Elektrizität, Glanz und Home Run, Umarmung und Gottessuche, Depression und Komposition, Eifersucht und Unzufriedenheit, Freiheit, Mut, Tradition, Sieg, Imponiergehabe und Minderwertigkeitskomplexe. Dazu Gene, Schnelligkeit, Glück und Skepsis. Also die ganze elegante Welt des wechselhaften Geschmacks. Danach ist Platinow ein anderer. Sozusagen eine neue Macht in alten Ketten. Er steht auf und gleitet über das Linoleum. Er kennt jetzt die Kultur, aber versteht er den Menschen? Warum Frauen nie anrufen, wenn man sich nach ihnen sehnt, Zweifel immer cooler ist als Glauben, und vor allem, warum man sich nach dem Grundwehrdienst Familie einfach nie mehr im wunderbaren Geschlechtsleben zurechtfindet?

 

Platinow schreit laut auf. Ihm ist einfach so. Vater und Mutter stehen nackt im Abseits und beschimpfen Gott für ihre Einsamkeit. Der lächelt.

 

„Muss ich immer ehrlich sein?“ fragt Platinow Gott.

 

„Nein. Die Absicht zählt.“

 

Platinow fühlt sich verändert durch diese Antwort. Er fühlt jetzt Sehnsucht nach dem Besonderen. Kein aufgeblasenes Ego mit der Sucht nach Zerstreuung – rächt sich mit dem Tod –, sondern eine neue Gewissheit über das Wohlbefinden, wie es  durch bestimmtes Kalkül und den tragenden Willen zur Veränderung wächst. Er sieht seine Eltern an. Sie machen keine gute Figur.

 

„Wo sind meine Geschwister? Wo ist Petra? Wo ist Heiko? Wo Giuseppe?“ fragt er sie.

 

„Sie studieren Medizin, Fußball und Astrophysik.“

 

„Und was ist mein Plan?“

 

„Du sollst verzweifeln“, antworten sie voller Grimm.

 

„Warum? Will ich nicht!“

 

„Weil du deine Eltern respektlos behandelst und unsere Ehre befleckst. Erst wolltest du gar nichts, jetzt plötzlich das ganz Große. Das ist nicht gut für die Abwehr von Untreue, solch ein eitler Wankelmut.“

 

Platinow wendet sich an den Anderen: „Gott, haben sie recht?“

 

„Karamba, nein! Es sind weiche Aasfresser. Du aber bist aus Stein.“

 

„Warum muss ich die ganze Zeit ‘Einführung in die biologische-mikrospkopische Belebtschlammanalyse’ denken?“

 

„Vielleicht näherst du dich schon dem nächsten Kapitel, der Natur.“

 

„Was ist das für ein Gott, der ‘vielleicht’ sagt?“, brüllt Platinow ihn an.

 

„Ich glaube, ein skandinavischer Gott“, lächelt Biddha oder Shesus oder Manitallah.

 

Platinow entscheidet sich. Er pflückt einige Kristalle vom Geländer des Treppenhauses und zerschneidet damit das Gesicht seiner Eltern. Dafür werfen die Fans Rauchbomben und singen im Chor: „Gefühl ham wir, die verstehen wa nich.“

 

Die Eltern bemühen sich noch einmal um ein paar nette Worte, aber die hört Platinow schon nicht mehr. Er steht im Regen einer Nacht und begreift Shakespeare und Heirat und Eremitage.

 

„Mir geht’s besser, keine Frage. Aber was kommt jetzt?“

 

Denn für praktische Fragen, das spürt Platinow deutlich, ist Bildung zwar nicht zwecklos, aber gelegentlich schon eine schwere Hypothek, weil die Ungebildeten nie verstehen, was man eigentlich meint.

 

Kühler Wind bläst ihm jetzt Sprühregen ins Gesicht, von den lecken Dachrinnen tröpfelt es in Pfützen. Ihn fröstelt.

 

„Aber ich bin nicht unglücklich.“

 

Gerne hätte er es sich bequem gemacht. Da hört er Schritte. Eine rothaarige Frau kommt die Straße hinunter. Sie singt etwas auf Französisch, so etwas wie „Trau dich, fick mich, sag mir Komplimente.“ Da fühlt Platinow eine Erinnerung an diese Scham und wacht auf.

 

Paul sitzt wieder dort und lächelt.

 

„Wie lange war ich weg?“

 

„Einige Wochen.“

 

„Geht es mir gut?

 

Paul lächelt. Platinow kann selbst aufstehen. Er will gehen, doch dann dreht er sich noch einmal um und will fragen: „Warum fürchte ich nicht die Zerstörung meiner bisherigen Identität, die hier vor sich geht?“ Aber Paul ist fort. Dort sitzt jetzt Omi Zechprell mit dem Kunstführer in der Hand und will nicht gestört werden. „Mama mia!“ denkt Platinow und geht auf sein Zimmer.

 

 

 

***

 

 

 

Als Platinow zurück kommt, sitzen auf dem Fußboden vier nackte Geräusche – eine Frau und drei Männer. Eins ist ein Brotmesser, das auf einem Holzbrett kreiselt; das zweite das panische Klopfen eines in einer Privatwohnung zu seiner Rettung hinter dem Kamin eingemauerten Juden, der die Wirklichkeit verliert; das dritte klingt wie schlafender Atem einer Nackten, wenn er gegen ihre vor dem Gesicht hängenden, langen, braunen Haare stößt; und das vierte spielt schließlich die Titelmelodie von „Berühmte Feldzüge“. Kung Fu sitzt mit Muslim auf dem Klo und toastet Kita-Gutscheine.

 

„Bin müde! Will schlafen!“ grummelt Platinow nach dem ersten Stutzen: „Hat unsere Bekanntschaft Zeit?“

 

„Dies sind die vier Elementarkräfte“, erklärt Kung Fu vom Klo: „Deine Begleiter für die nächsten Jahre.“

 

„Können die sich ausweisen?“ grummelt Platinow weiter und hascht nach einer Mütze Schlaf.

 

Die Frau erhebt sich als erstes.

 

„Mach es dir ruhig bequem. Unser Feuer brennt schon so lange, da kann der Campus noch etwas Kommentare sprechen, bevor er zerfällt wie das frühe Christentum.“

 

Platinow schenkt ihr ein knarzendes Lächeln und wirft sich in seine Hängematte.

 

„Ich werde dir so lange eine Geschichte erzählen.“

 

Die Dame hockt sich neben ihn und wirkt sehr irdisch, sexuell und sterblich.

 

„Wir kennen uns von der Plaza del Sol. Du warst dort, weil du in den Häuserschluchten mehr Geborgenheit fandest als auf der Familienfeier. Ich saß im Dunklen in dem Kiosk, vor dem du mit Fassungslosigkeit stehen bliebst, weil in einem katholischen Viertel auf Kinderaugenhöhe sodomitische Pornohefte verkauft wurden. Da trafen sich unsere Blicke, aber ich gehörte einem anderen Mann mit zerknittertem Hemd, der vom ewig willigen Weib träumte.

 

Trotzdem kam ich mit meinen afrikanischen Witwenstelzen aus dem Kiosk und schlug dir vor, die Selbstzerstörungspolka zu tanzen, dort, auf der Plaza del Sol. Du hast schüchtern gelächelt und sofort die Temperatur der schönen Machtverhältnisse gespürt: „Du gehörst einem anderen Mann, den du doch nicht verlassen willst“, hast du gesagt. „Das stimmt!“ antwortete ich: „Um sich geistig zu entwickeln, muss der Mensch sich irgendwo zugehörig fühlen.“

 

Ich schloss den Kiosk ab und wir gingen spazieren in den Volkspark. Da waren Kunstfurzer und vier Frauen, die ein Kind nähten, und eine Alte, die das Glied eines Schlafenden betrachtete. Wir sprachen nicht viel, und du hast dann meine Hand genommen. Da liebte ich dich und die Bananen froren. „Schmerz und Reue lenken die Treue“ hast du gesagt und mir die Brille abgenommen. Und dann haben wir uns in dem Park geküsst, wo es jeder sehen konnte, und ich wusste, damit mache ich eine Versprechung, die ich nicht halten kann. Dafür schämte ich mich, aber ich wollte mir einreden, das wir beide wissen: Wenn eine Frau ein Rätsel ist und ein Mann ein Mann, dann verachtet ihn das Volk als Gott und ertränkt sie in der Badewanne.

 

So unglücklich, wie wir beide dadurch wurden, gab mir die Evolution dann aber wenigstens noch Bewährung als Allegorie der Sehnsucht. Als solche beschütze ich dich nun vor Alter, Groteske, Zynismus und Gott.“

 

Alle weinen. Kung Fu geht mit einer Schüssel umher: „Etwas frischen Froschsalat? Mit Elchnüssen und Sahne?“

 

Dann wechseln sie Plätze und das zweite Geräusch setzt sich neben die Hängematte, die Titelmelodie „Berühmte Feldzüge“, ein Wesen diffuser äußerer Ähnlichkeit mit Platinow. Es spricht: „Wir trafen uns in Caracas, dem Mekka der plastischen Chirurgie im 9. Stock eines Einkaufszentrums. Dort wurde vor langer Zeit der Schluckauf mumifiziert, der erbliche Schwertadel mit seinen 20 Kilo schweren Ohrläppchen mit der Wissenschaft von dem, was man nicht will, bekannt gemacht. Und erst vor kurzem wurde hier das Jahr 1653 gefeiert, als das erste Mal der Begriff „Psychologie“ auftauchte. Von diesem Ort aus wollte ich eine Welt der Willkür errichten und dafür suchte ich Streber ohne Phantasie und Skrupel. In einem schäbigen Laden voller leerer Bierflaschen hatte ich ein Rekrutierungsbüro eingerichtet und lockte die Menschen mit unglaublichen Versprechungen von wochenlangen Orgasmen und alles sanierenden Erklärungen.

 

Die Wirkung war erschreckend gering. Ahnungs- und Hilflosigkeit, die sich in Angst vor Stigmatisierung ausdrückt, reichte bei der einen Hälfte der Interessenten nur bis zu dem Wunsch, ein Experte zu sein. Die andere Hälfte bestand aus Balkan-Machos und ihrer Dreiengstirnigkeit aus Herzenskälte, Egoismus und Verrat. Soviel verkrampfte Fröhlichkeit an einem Ort war selbst für mein aufgeblasenes Ego zuviel, und deswegen predigte ich ihnen nur ein bisschen Wahabismus und entließ sie in die Welt des Staatsterrorismus.

 

Gerade als der Weltstromausfall auch mein Versagen verdunkelte, begegnete ich dir auf den Toiletten, wie du auf alle praktischen Fragen eine Antwort wusstest. Du warst zwar offensichtlich faul, leidenschaftslos und konfliktscheu, aber Streben nach Wissen und Aufregung brachte ja schon ich mit. Also schlossen wir ein Bündnis mit der Absicht, den schönsten Frauen mit der Zerstörung der Weltwirtschaft zu imponieren, und machten uns an die Arbeit. Auf unseren Rottweilern Bretton und Woods ritten wir nach Wien und veranstalteten in der dortigen Staatsoper einen Unten-ohne-Ball mit Maske für die bedeutendsten Konzernchefs der unchristlichen Welt. Männer mit Dackel und Bierfahne servierten die Getränke, Marianne hinterm Tresen goss den Kinderschändern, die an der Theke chemische Formeln lösten, schlechtgelaunt Jägermeister nach, an den lose verteilten Tischen saßen Ruhrpottalkoholiker beim Rauchen, Saufen und Fachsimpeln und suchten Investoren für ihr Leben, und vor den aufgestellten Fernsehern meditierten nasse Wiener Hausfrauen, die Pillen an die hereinströmenden Wirtschaftsbosse samt Gattinnen verteilten, deren Wirkung alle Körperentäußerungen von Furzen, Rülpsen und Schwitzen bis Urinduft, Sperma und Rasierwasser einheitlich in den Geruch des Imbisses „Goldenes Horn“ in Bochum verwandelten. Statt eines Orchesters spielten die plärrend lauten Transistorradios der Ruhrpott-Alkoholiker „Kummer-Rock“ und die Volksmusik der Kriegsversehrten, so dass die Supermächtigen nach einigem unschlüssigen Herumstehen dann zusehends besser in Laune kamen und Sexualität praktizierten. Das filmten wir mit 14 Teams und lösten so das Rätsel vom schwachen Staat im globalisierten Kapitalismus, der zwar großzügig Subventionen an multinationale Konzerne verschenkt, dafür aber keine Steuern mehr einnimmt.

 

Leider deprimierte dich der Anblick so vieler Leute mit einem klaren Ziel derartig, dass du dich der Meinung der Massen anschlossest, wonach die Weltwirtschaft zwar Milliarden Menschen in Tod und Elend stürzt, aber trotzdem notwendig ist. Doch als du alleine durch das mit Tausenden von Kerzen erleuchtete Portal hinaus zu den Demonstranten gingst, die auch rein wollten, um zu ficken, da versprach ich dir, zu kommen, wann immer du mich brauchst. Denn ich bin die Allegorie von edler Boshaftigkeit und väterlicher Freundschaft und du wirst meine Hilfe noch sehr zu schätzen wissen.“

 

Da weinen alle und Kung Fu singt die Arie vom berühmten Dreikörperproblem aus Jacques Preverts Oper „Der Skandal des Glücks“.

 

Dann setzt sich das dritte Geräusch, das Klopfen hinterm Kamin, neben die Hängematte und spricht leise und schlürfend, wie es seiner krummen Kleinwüchsigkeit entspricht: „Ich bin die Allegorie des schlimmsten Gefühls. Wir kennen uns noch nicht persönlich und ich bin auch nur dabei, um beharrlich vor dem emotionalen Fazit zu warnen.“

 

 

Da erschrecken sich die draußen vorbei fliegenden Vögel und lernen mit der plötzlich auftretenden Skepsis das reflektierende Denken und die Fähigkeit zur planenden Lebensgestaltung. Kung Fu reicht Zartgemüse und erzählt dazu, dass die Basis von 90 Prozent der menschlichen Ernährung in der Welt von lediglich acht Nutzpflanzen herrührt: Reis, Mais, Weizen, Kartoffel, Soja, Maniok und Hirse. Dann erhebt sich das kreiselnde Brotmesser, ein weißhäutiger etwas verfetteter Gelehrtenkörper mit schütterem rötlichen Haar und einer randlosen Brille vor seinen ängstlichen Schweinsäuglein, und erzählt als Letztes seine Geschichte hin zur Hängematte.

 

„Ich bin der geheimnisvolle, charismatische Führer, der immer das rechte Maß aus Ordnungssinn, Vertrauen und produktiver Störung kennt, um unsere Aktivität effizient zu strukturieren.“

 

Die anderen drei Gefühle stöhnen genervt auf, aber er fährt unbeirrt weiter.

 

„Du und ich, wenn du dich erinnern magst, waren zwei von Hundert, die den Sarg von Edgar Wallace tragen mussten, und unterhielten uns dabei über sinnvolle Tugenden. Wie du vielleicht auch noch weißt, einigten wir uns damals schnell auf den Gedanken, dass nur die Beherrschung von Komplexität Angstfreiheit bringt, wogegen lineare Konzepte und Verhaltensweisen stets Ausdruck großer Furcht sind. Sinnvolle Komplexität, die sich vom bedrohlichen Chaos abgrenzt, entsteht aber immer auf der Grundlage weniger und einfacher Basiskomponenten, deren Gewicht es blitzschnell zu analysieren gilt. Banale Grundwünsche nach Zuneigung, Anerkennung, Berührung, Veränderung, Entspannung und Einzigartigkeit reichen aus, um in Konkurrenz zur Außenwelt die spezifische Aktivität zu entfalten, deren Ziel das persönliche Glücksgefühl ist. Die Basiswerte an sich sind aber genau so wenig sinnvolle Tugenden wie die komplexen Verhaltensstrategien, die daraus resultieren. Die einzig sinnvolle Tugend, die sich aus dem Spannungsverhältnis ergibt, ist die trainierbare Fähigkeit zur Antizipation der optimalen Erfolge unter Berücksichtigung und Wertung der größtmöglichen Anzahl von Konsequenzen im fein gesponnenen sozialen Netz. Richtig?“

 

Platinow, der sich an kein Begräbnis von Edgar Wallace erinnern kann, den das weise Gequatsche aber in den Halbschlaf gemurmelt hat, erkennt – von der Frage geweckt – in seiner einfachen Art sofort das Problem von Eitel Hans Besserer zu Schnürpflingen: umherschleichende Lebensangst in einer Mustersiedlung aus richtigen Gedanken plagt den Mann. Also antwortet er, was alle von ihm erwarten: „Ein kreiselndes Brotmesser kann kein Führer sein. Aber hüte deine Ansichten, wir könne sie bestimmt noch einmal brauchen.“ Dann erhebt er seinen müden Kopf, sieht seine neuen Freunde mit einem Open-for-Business-Blick an und stellt fest: „Nun habe ich also eine Gang aus Allegorien wie in einem richtigen Rap-Film. Sehnsucht, Tatkraft, Angst und Intellellen-Gezuppe. Seid herzlich willkommen, aber jetzt lasst mich schlafen.“

 

„Das geht nicht!“ unterbricht in die Frau: „Wir brauchen noch Kleidung und Namen.“

 

„Warum jetzt sofort?“ fragt Platinow gereizt: „Du hast doch vorhin selbst gesagt, dass euer Feuer schon so lange brennt, dass der Campus noch etwas Kommentare sprechen kann, bevor er zerfällt wie das frühe Christentum.“

 

„Weil wir sonst verschwimmen und verschwinden. Wir haben dir jetzt unser Inneres gezeigt und brauchen sofort eine Hülle und eine Kennzeichnung, sonst verdunsten wir im Möglichen.“

 

„Nun gut. Dich nenne ich 'Afra, die heidnische Dirne', und kleide dich in blaue Seide. Dich, meine tatkräftige Gier, taufe ich „Situation Bop“ und gebe dir den Boss-Flughafen-Store zur Ankleide. Meine Angst heiße ich „Warschau“ und schenke dir die Kapitänsuniform der MS Scheißkrauts als würdige Garderobe. Schließlich verleihe ich dem Mensch, der eingeschüchtert von weiblicher Schönheit die Geistesgegenwart sucht, den Namen „Eitel Hans Besserer zu Schnürpflingen“ und kleide dich mit der Krone Frohsinn und einem Mantel aus Brustwarzen. Alle zufrieden?“

 

„Noch eine Devise für jeden, bitte.“

 

„Für Afra die Devise: Leuchte nachts den Flugzeugen.“

 

„Ist das nicht langsam ein bisschen chauvinistisch? Die einzige Frau in der Gang eine Dirne, die nachts den Flugzeugen leuchten soll?“ fragt Afra stirnrunzelnd.

 

„Mach was draus. Du bist eine freie Allegorie in einem freien Land.“

 

„Und deswegen jetzt zuständig für den freien Freier, oder was?“

 

„Ich sehen schon: Du hast die richtige Devise“, sagt Platinow in einem Ton, der keinen Widerspruch mehr duldet und wendet sich dem nächsten zu:

 

„Situation Bop, deine Devise soll lauten: Der Kellner ist König!“

 

„Sehr schön.“

 

„Warschau, deine ausgleichende Devise sei: Geduld ist der wahre Messias.“

 

„Ist das nicht ein wenig zynisch? Der leidenden, verfolgten und gequälten Seele Geduld zu verschreiben?“

 

„Es ist dein Cargo. Du wirst sehen.“

 

„Und meine Devise?“, fragt Eitel Hans Besserer zu Schnürpflingen, etwas beleidigt, dass er immer als Letzter dran kommt.

 

„Das Ideale ist das Fade.“

 

„Ok.“

 

„Darf ich jetzt schlafen?“

 

„Nur eine Frage noch.“

 

„Hmpf.“

 

„Woher nimmst du das alles?“

 

„Aus dem Speicher mit der Ordnungsnummer 7. Gute Nacht.“

 

Platinow dreht sich zur Wand und schläft sofort ein. Also holen die vier Ungeduldigen die Karten und harten Getränke hervor und legen Patiencen. Kung Fu spielt mit Muslim „Kaffeesahne-Portionspackungen-öffnen-ohne-Vollspritzen“, was der Affe einfach besser kann, und dann denken sie sich eine Welt aus, die ohne Scham wäre. Dieser Spaß an Katastrophen ist für uns friedliche Menschen vielleicht schwer zu verstehen, aber wir sind nun auch nicht solche bizarren Geschöpfe von arg zweifelhafter Symbolik.

 

 

 

***

 

 

 

Da Platinow einige Tage schläft und künstlich ernährt werden muss, beginnen die Allegorien mit Kung Fu über ihre Rechte zu diskutieren.

 

Eitel Hans Besserer zu Schnürpflingen: „Wenn Platinow nun die Prüfungen der Natur nicht überlebt, müssen wir dann mit ihm untergehen wie skythisches Hauspersonal?“

 

Kung Fu leckt sich etwas gelangweilt an der Klitoris und sieht den Feigling dann empört an: „Ihr seid das Team. Verhindert es.“

 

Situation Bop will dagegen wissen, warum sie das Naturtraining überhaupt mitmachen müssen, wenn ihr Auftrag die Zerstörung der menschlichen Glaubensstrukturen ist.

 

„Ich glaube, dass U-Boot-Fahren eine Form des Nachdenkens ist“, antwortet Kung Fu mit den Worten des Konteradmirals Beresin.

 

„Und wenn ich mich weigere?“

 

„Weil es dir zu anstrengend ist?“

 

„Mir ist nichts zu anstrengend, aber Grundschule ist nicht meine Wilhelmshöhe“, zischt Situation Bop.

 

„Deine Ehre heißt Treue,“ antwortet Kung Fu süffisant lächelnd.

 

„Wie immer. Wenn euch Außerirdischen die Argumente ausgehen, kommt ihr mit Nazi-Sprüchen.“

 

„Noch mehr Einwände? Warschau?“

 

„Ich fürchte mich vor den unbegrenzten Möglichkeiten der Kombinatorik.“

 

Kung Fu macht ein paar Dehnübungen, zupft Warschau einige Staubfussel und Schuppen von der Uniform und sagt im nervösen Ton gespielter Güte, wie man ihn von Angela Merkel kennt: „Dagegen helfen zwei Zustände: Komplette Ahnungslosigkeit und vollständiges Wissen, also Friedhof oder Neugier. Sehnsucht nach Friedhof?“

 

„Ok. Ok.“ Antwortete Warschau verängstigt: „Aber wollte euer neues System nicht ohne Gewalt, Drohung und Demütigung auskommen?“

 

„Natürlich“, lächelt Kung Fu ihr devotestes Asiatinnen-Lächeln: „Das war ja auch nur eine therapeutische Antwort. Ich dachte, ihr hättet eure Eminem-Lektion gelernt: Die Bezeichnung eines Menschen als zum Beispiel 'stinkender, schwuler Neger' ist keine Beleidigung, sondern eine Metapher. So hat sich sprachliche Gewalt ganz nach Nietzsche bestens umcodiert im World-Pidgin-Pop-Geschwafel.“

 

„Das mag ja sein, aber logisches Denken ist nichts für panische Charaktere wie mich. Ich finde gedankliche Ruhe und Präzision nur im Entsetzen.“

 

„Dann freu dich doch auf den Trip in den vollkommen sinnleeren Kosmos der Naturgesetze.“

 

„Naturgesetze erinnern mich aber immer an etwas Unangenehmes, also vorzugsweise an meinen Vater.“

 

„Ich zitiere dich selbst: Ich bin nur dabei, um beharrlich vor dem emotionalen Fazit zu warnen. Aus deiner Pflicht ergeben sich all deine Rechte.“

 

„Nämlich?“

 

„Du kannst gehen, wenn es eine finale Antwort auf alle Fragen gibt.“

 

„Du meinst Gott?“

 

Kung Fu zwinkert ihm zu.

 

„Also habe ich keine Rechte, also kann ich nirgends hingehen.“

 

„Doch. In ein anderes Team.“

 

„Ist das jetzt Diktatur?“

 

„Nein Warschau, das ist Realismus.

 

Und du Afra? Was sind deine Fragen?“

 

„Was geschieht, wenn ich mich wieder verliebe?“

 

„Nichts. Laub fällt von den Bäumen, Köpfe schmerzen, Treue bleibt eine Tautologie.“

 

„Dann lass uns noch ein wenig in die Stadt gehen“, schlägt Eitel Hans Besserer zu Schnürpflingen vor: „Unrecht rächen und Menschen zu ihrem Glück zwingen.“

 

Da freuen sich die Kollegen riesig und ziehen los nach Tinte, während Kung Fu sich zu Platinow in die Hängematte legt.

 

 

 

***

 

 

 

„Es ist eine große Veränderung mit mir vorgegangen“, sagt Platinow, nachdem er aufgewacht ist: „Ich bin ein ganz anderer Mensch und trotzdem fällt es mir leicht, normal zu sein. So wie ich früher einfach war, bin ich jetzt kompliziert und genieße es. Was brauche ich also noch für eine Prüfung?“

 

„Die vollständige, mathematische Ernüchterung. Spektrum, Balance, Netz. Das empfindungslose Wissen. Also das genaue Gegenteil.“

 

„Wie werde ich mich dann fühlen?“

 

„Die es vor dir erlebt haben, waren nach der Erschöpfungsphase wieder ganz zufrieden.“

 

„Da draußen ist ein Regenbogen.“

 

„Ja. Sehr schön.“

 

Nackt liegen sie beieinander und genießen die kribbelnde Atmosphäre hoher Luftfeuchtigkeit.

 

„Kann es sein, dass ich in dieser neuen Gelassenheit Gefühlszustände verloren habe? Leidenschaft? Melancholie? Albernheit?“

 

„Du hast jetzt nur weniger Zeit für diese Emotionen. Außerdem warst du früher weder besonders leidenschaftlich, noch depressiv oder albern. Dies war deine Eignung.“

 

„Fühle ich mich einsam jetzt?“

 

„Du wirst neue Genüsse entdecken. Aber auch die Liebe kehrt wieder, sei getrost.“

 

Platinow sieht Kung Fu ernst an und bringt endlich die Frage heraus, die er schon die ganze Zeit stellen wollte: „Bist du hier eigentlich der heimliche Chef?“

 

„Es gibt hier keinen Chef. Es gibt nur Talente.“

 

„Ist das nicht ein wenig esoterisch?“

 

„Mecker, mecker, mecker. Schmieg dich an mich, lausche dem Tröpfeln draußen und dem knackenden Wohllaut, wenn Muslim kleine Kamelschädel aufbeißt. Und wenn du genau hinsiehst, kannst du da unten auch dein Team erkennen, wie es die us-amerikanische Regierung für den Krieg im Irak bestraft.“

 

Tatsächlich sieht Platinow unten in der Stadt Bush, Rumsfeld, Powell, Rice, Ashcroft, Cheney und Negroponte, wie sie zur Freude der Volksmassen auf dem Platz vor der Kathedrale, von dem aus Platinows Reise ihren Ausgang nahm, jeden einzelnen Tod ihres Feldzugs detailliert nacherleben müssen. Da alle Delinquenten schon nach dem ersten Exitus schlapp machen, müssen sie von Platinows Team immer wieder mit Elektroschocks und 4711 auf die nächste Einspielung vorbereitet werden. Natürlich verlieren gerade die Kinder schnell das Interesse an dieser Darbietung kataleptischer Anfälle, zumal sich das Schmerzens- und Todesgebrüll der nackt verdrahteten Kriegsverantwortlichen auf die Dauer in seiner Musikalität doch arg erschöpft, so dass die lieben Kleinen sich bald damit die Zeit vertreiben, die unter die Haut führenden Drähte mit bic-Feuerzeugen noch ein wenig zu erhitzen. Das schadet dem Illusionseffekt wenig und tut doch noch mehr weh, weswegen Platinows gütiges Team dagegen keine Einwände hat. Allerdings wird das den Großstadtkindern auch bald langweilig, und da sie noch keinen Alkohol trinken dürfen, gehen sie lieber wieder auf die städtische Mülldeponie spielen, wo man böse lateinamerikanische Polizisten und Paramilitärs bei ihrer Jagd auf Straßenkinder abballern kann.

 

Auch Platinow verliert bald das Interesse und holt die Linola-Creme für Kung Fus Anusloch.

 

 

 

***

 

 

 

LKW denkt neuerdings häufig an Platinow. Obwohl sie zweimal ganz glücklich verheiratet war und auch ansonsten den einen oder anderen guten Mann kannte, der sich berechtigtere Hoffnung auf ihre Erinnerung machen möchte – Platinow klebt ihr neuerdings als etwas unerklärlich Hartnäckiges in der Sehnsucht. Dabei besitzt er keine groß sichtbaren Qualitäten: Er sieht leidlich aus, trägt einen normal großen Penis, war in ihrer gemeinsamen Zeit halbwegs aktiv, witzig und originell. In jeder dieser Kategorien kannte sie gerissenere Könner, von Bildung und kulturellen Interessen mal ganz abgesehen. Dennoch schlug Platinow sie alle mit seiner unverfälschten Aufrichtigkeit. Auf eine rührend starke Art besaß er keinen Falsch. Was für ein Wert.

 

Weil dieses Phantom sie nach der zufälligen Zusammenkunft in der Straßenbahn wochenlang weder im Wachen wie im Schlaf verließ, beschließt sie eines herrlichen sonnigen Tages, dass sie für immer mit ihm zusammenleben und ein Kind zeugen will. Ungewöhnlich fröhlich für diese kühle und distanzierte Person zieht sie sich ihr schönstes Schopenhauer-T-Shirt an, packt ein kariertes Tischtuch voll mit Habseligkeiten, das sie an einen Stock knotet, den sie über der Schulter trägt, und macht sich auf die Suche.

 

Zuerst geht sie zu seiner alten Wohnung, aber da lebt jetzt ein Mensch mit Namen Staub, der auf seine zerkratzte Wohnungstür Fotos von Kumpelbesäufnissen geklebt und in den lila Lack „Zorro kommt gleich!“ geritzt hat. Darunter steht mit Edding: „Eh Staub, sind unten am Hafen, Alk brennen. Komm auch, Bier ist für alle. Feetz und Stumpi.“

 

Staub selbst ist ein vom Saufen zermanschter Punk-Proll mit zu kleiner Blase, eine Wahrheitsloser, der beim Anblick von LKW zu stottern anfängt und sich entsetzlich für seine stinkende Junggesellenverwahrlosung schämt. Obwohl Staub von Platinow noch nie etwas gehört hat, zeigt LKW ihm ihre Muschi, bevor sie in Platinows Heimat für Sinnvergrämung, „Bei Ernst“, nachsieht.

 

Nils sitzt wie immer vor Dotterschnaps und fühlt Schwermut. Der Fahrradständer rostet. Ernst ist mit einem Strauß Schlüsselblumen bei seiner Frau. Die hat Spasmen. Deshalb setzt sich LKW auf die Bank vor der Kneipe. Warten und Nachdenken. Doch der Platz vor der schäbigen Hütte staubt. Arbeitslose F16-Piloten üben hier Wheelie, das Fahren auf dem Hinterrad, bis einer von ihnen die Schädelbremse macht, weil er in der Wasserrinne hängegeblieben ist, mit der die Stadtverwaltung das Mikroklima verbessern will. Seine Freunde packen seine Reste in einen blauen Huyndai, auf dessen Windschutzscheibe mit Runenschrift „Japanbomber“ steht und aus dessen Megaboxen 50 Cent dröhnt, und fahren ihn ins Eilige Spitalbräuhaus.

 

„Mitleid ist nur was für reiche Leute“, sagt Ernst, als er sich neben sie setzt: „Erdnüsse?“

 

„Nein danke. Aber vielleicht deine Gäste da drinnen. Die werden von Fliegen umschwärmt, als seien sie Pansen. Etwas Energiezufuhr täte denen ganz gut.“

 

Ernst lacht. „Heute ist Sonntag. Schon mal an Gott geglaubt?“

 

„Nein. Nie.“

 

„Ich auch nicht. Ich knie nur vor Schönheit nieder.“

 

„Schönheit“, wiederholt LKW: „Hat es dich als Kind nicht auch immer genervt, Weihnachten in diesen Kirchen, besonders denen im Barockstil, dass da nur schöne Menschen zu sehen sind, in Gips, in Öl, in Holz, in Gold? Als wäre Religion nicht hauptsächlich Trost für die Hässlichen und Dicken.“

 

„Ich bin hässlich und dick, LKW.“

 

„Entschuldige“, sagt LKW und wird rot: „Ich meinte es tröstlich.“

 

So sitzen sie und beobachten wie der Löwenzahn aus dem Asphalt wächst, wie der Gemüsehändler heimlich Garibaldis Badewasser an die lieben Anwesenden von Patriotismus und Nervosität verkauft. Glückliche Kinder kreischen im ersten Stock vor Vergnügen – Fernsehen.

 

„Kinder wären etwas Wunderbares“, seufzt LKW.

 

Ernst lächelt sie an: „Und jetzt suchst du endlich Platinow?“

 

„Meinst du, ich soll nicht?“

 

„Doch, ganz gewiss, aber du wirst dich noch etwas gedulden müssen.“

 

„Was weißt du von ihm? Geht es ihm gut?“

 

„Er wird gerade ein neuer Mensch.“

 

„Werde ich ihn denn dann noch mögen können?“

 

Ernst hebt skeptisch eine Augenbraue und sieht LKW vorwurfsvoll an: „Immer noch das alte Ich-Problem?“

 

LKW läuft wieder rot an und nimmt eine Erdnuss, weil sie tatsächlich immer nur an sich denkt. Doch bevor sie nun die beschämte Frage anbringen kann, was mit Platinow denn gerade geschieht, fährt Ernst schon fort.

 

„Platinow findet sich gerade eine große Mission. Die kritische Pathologisierung des Normalen.“

 

„Was ist denn das für nen Scheiß?“, entfährt es LKW mit ihrer gesunden Skepsis gegen prekären Intellektualismus, und dann hat sie die richtige Eingebung: „Ist er etwa doch zu der WMSD auf den Hüterich gegangen? Das sind doch Faschisten!“

 

„Vorsicht. Auch die Propaganda der Aufklärer bleibt Propaganda. Die als WMSD bezeichnete Organisation pflegt lediglich den wenig modischen Gedanken von Veränderung im Geiste von Güte und Gelassenheit. Ihr Terrorismuskonzept ist witzig, skeptisch und frei von Bevormundung. Ihre täglichen Anschläge verlaufen meist völlig unbemerkt, und das einzige, was sie wahrscheinlich nicht zum Seligen wenden können, ist der Tod. Zumal sie kein religiöses Vokabular bedeutungsgerecht bewegen.“

 

„Aber Terrorismus ist undemokratisch!“

 

„Das sind Naturkatastrophen auch.“

 

„Das ist ja wohl ein bisschen was anderes.“

 

„Demokratie wächst im Ausgleich von gerechten und ungerechten Motiven. Die Frau, die Nasenpopel in die Hemden ihres Mannes bügelt, ist diesen Widersprüchen nicht weniger günstig als ein Programm zur Illusionszerstörung.“

 

„Es ist doch wohl eine Frage der Mittel und der Konsequenzen.“

 

„Genau: Der subtilen Mittel und der gewünschten Konsequenzen.“

 

„Also genau das Gegenteil von Terrorismus.“

 

„Von ideologischem Terrorismus, nicht von terroristischer Brotvermehrung, mit der wir es hier zu tun haben.“

 

„Terroristische Brotvermehrung? Bei dir hackt es wohl! Wo ist Platinow?“ LKW ist jetzt richtig wütend auf dieses unerwartete, verblasene Verschwörungsgerede und fürchtet Platinow in den Händen einer Sekte.

 

„In einer Ausbildung, die durch eine Unterbrechung mit deinem gesunden Menschenverstand in großer Niedergeschlagenheit enden würde.“

 

„Er braucht mich aber, das weiß ich!“

 

„Er brauchte dich sehr lange Zeit, da hattest du etwas Besseres vor. Jetzt arbeitet er dort, wo Verletzungen und Sehnsucht ihn zu einem Kämpfer machen. Du musst nun das Ende seiner Mission im Hafen der weich werdenden Kruste abwarten. Und keine Sorge, Platinow geschieht nichts.“

 

LKW sieht Ernst zweifelnd an und beschließt aus Vertrauensbereitschaft, ihm zu glauben. „Hat denn Platinow am Tresen um mich geweint?“

 

„Das hättest du wohl gerne.“

 

„Hat er?“

 

„Natürlich. Du warst seine große Liebe, die grausam und für ihn unverständlich abrupt endete.“

 

„Sag mir jetzt, wo ich ihn finde.“

 

„Du kannst das jetzt nicht auf die Schnelle wieder gut machen, LKW. Außerdem ist Platinow offiziell tot. Verschüttet bei den jährlichen World-Trade-Center-Spielen. Der Platinow, der gerade im Entstehen ist, dem wirst du garantiert irgendwann wieder begegnen. Wenn du ihn dann noch erkennst, dann werdet endlich glücklich im Namen der Biologie.“

 

„Woher weißt du das alles? Du bist Teil einer Verschwörung.“

 

„Es gibt keine Verschwörung, es gibt nur aufmerksame und unaufmerksame Menschen.“

 

„Das ist so wahr, dass es eine Phrase ist. Sag mir lieber, welche Übel deine Partei eigentlich bekämpft?“

 

„Angst, Glauben, Hass, Verblendung.“

 

„Und dafür muss man in den Untergrund?“

 

„Nur dafür. Schwächen und böse Absicht machen sich stets im Dunklen unverständlich. Welche pompösen Systeme wurden errichtet – psychiatrische wie religiöse und gesellschaftlich –, um zu vergessen, was Schreckliches im Keller geschieht. Und die Haupthandlung dieser Systeme war immer, mit dem Lächeln der Rechthaberei zu töten. Was wir stattdessen brauchen ist gelassener Realismus.“

 

„Wo bleibt da die Liebe?“

 

„Gelassener Realismus kennt die ganze Breite der Gefühle. Der Unterschied zum Zustand der Selbstgerechtigkeit ist nur, dass er die Gefühle auch erkennt und versteht.“

 

„Früher hast du nie so geredet. Haben sie dich auch geschult?“

 

„Merkt man das?“ lächelt Ernst und kurz blitzen die Karpatenuhuaugen in seinen Pupillen.

 

„Dann hast du ihn auch da hinauf geschickt?“

 

„Er war der beste Kandidat seit Jahren. Es wäre ein Verbrechen gewesen, es nicht zu tun.“

 

„Warum erzählst du mir das alles so bereitwillig?“

 

„Weil du es in Kürze wieder vergessen hast.“

 

„Manipulierst du mich jetzt auch?“

 

„Nur soweit, dass du nicht aus Versehen etwas Bedrohliches bewirkst.“

 

„Du machst mir Angst.“

 

„Das ist keine Angst, das ist nur Befremden. Alles wird gut.“

 

„Das sagst du so in deinem jugendlichen Leichtsinn, Alter. Krieg ich einen Tequila?“

 

 

 

***

 

 

 

LKW liegt auf einer Blumenwiese am Hang mit Blick auf die Stadt, Blauracken kreisen über einem abgemähten Weizenfeld, vor irgendwo her schallt leise Harfenmusik und sie hat Lust auf eine Zigarette. Es bedrückt sie das Gefühl, ihr Leben mit Millionen Nebensächlichkeiten vertan zu haben. Aber das war auch so leicht. Schließlich ist sie eine sehr schöne, begehrenswerte Frau aus reichem Hause, die immer tun konnte, was ihre Launen ihr vorschrieben. Ob ein nachmittäglicher Spontanausflug nach Bali nur mit Sonnenbrille und Kreditkarte oder eine gewaltsame Demonstration gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Davos, ob Aufbau einer Kinderkrankenstation in der Ukraine oder eine Affäre mit einem rechten Politiker, ob Studium der Kunstgeschichte oder Drogenentzug in Hawaii – ihr Leben gleicht dem optimalen Orgasmus des Boulevard-Journalismus. Selbst Phasen der Depression erlebt sie im Tempo eines immerwährenden Spektakels. Platinow war in diesem Bilderbuch der Schönen und Reichen die Episode „Durchschnittsleben“, das sich irgendwann sehnsüchtig verklärt, wenn man alles haben kann. Verlassen hat sie ihn eigentlich nur aus Gewohnheit. Der Schmerz kam sehr viel später.

 

Und jetzt soll er tot sein? Und sie vielleicht schuld? LKW spürt echte Tränen aufsteigen. Nach dem Besuch bei Ernst, der nicht viel über Platinows Verbleib zu erzählen wusste, hatte sie noch einige seiner ehemaligen Bekannten aufgesucht, an die sie sich schwach erinnern konnte und die sie nicht überschwänglich freundlich begrüßten. Aber auch sie alle kannten nur das Gerücht vom Tod auf Ground Zero und zeigten sich ein wenig traurig. Doch ein bestimmter Ton in der energischen Ecke ihres Herzens sagt ihr, dass das nicht stimmt. Platinow muss leben und mit ihr glücklich werden. In diesem Plan steckt eine Wahrheit, und an der kratzt kein giftiger Ginster.

 

LKW schläft ein und träumt folgendes: Um sie herum stehen viele Männer mit Schnapsglas in der Hand und sagen „Aha!“, immer wieder „Aha!“, bis der Chor zum Staat anschwillt und das Geräusch zu Hochzeitsglocken. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Eintritt in den Dom und geflüsterten Mahnungen von den Ratgebern ihrer Vergangenheit.

 

Die sagen: Die Ehe ist ein Bernsteinzimmer mitten im Palast der Winde. Eingesperrt in das Dekor großer Versprechungen wirst du hier ein Opfer von Mücken, die aus den stinkenden Tümpeln emporsteigen, und dem Moder, der von der Straße hereinweht. Dort kannst du dann nicht mehr fliehen. Schau dagegen wie das Lächeln der flüchtigen Menschen und Freuden, das du bisher genossen hast, Strömung und Aufregung in dein Leben brachte. Warst du nicht glücklich und du selbst eingelullt und eingehüllt von der schönen Oberfläche? Die allfarbene, tote Pracht der Jahrtausende verlangt nach deiner Lebensweise: die der Moden. Sonst wird sie untergehen. Kannst du deine Vergangenheit so verraten und dich wegsperren in die Treue und die eifersüchtige Zweisamkeit im Palast der familiären Ansprüche?

 

Doch LKW ist unwillig. Sie verkleidet sich als Eisverkäuferin und mischt sich unter die Hochzeitgäste, um zu sehen, was die vom Glück wissen. Sie sind ungeduldig, denn sie kamen wegen der Hochzeitszeremonie, nicht um sich Gedanken zum Zweck der Ehe zu machen – und nun fehlen Braut wie Bräutigam und sie müssen grübeln. Wer heiratet hier? fragt LKW den schüchternen Sohn ihres Familienchauffeurs, der immer Pickel bekam, wenn sie an ihm vorbeiging. Adam und Eva, antwortet der stotternd. Oh nein, denkt LKW, bitte nicht. Doch sie spürt Liebe und eine Leere im Uterus, die gefüllt sein will. Trotzdem flieht sie vor dem Altar auf den Friedhof. Da setzt sie sich hin und starrt gebannt von hinten auf die abstehenden Ohren eines Fremdenlegionärs, der das Grab von Jean-Claude van Damme bewacht. Eine Schar Kinder kommt aus dem Skiurlaub und pflückt noch schnell Blumen von der Gräbern für Mama und Papa. Manche plagt ein Heuschnupfen.

 

LKW hätte gerne Rat über sich selbst und ein Gefühl von Glück und Frieden. Doch da erheben sich aus den Gräbern ihre Launen und wanken auf sie zu. Mit einem Schrei wacht sie auf und zittert in der Sonne. In einer Wolke sieht sie das grässlich selige Lächeln von Spielplatzmüttern über einem Fötus schweben und beschließt: Jetzt erst recht!

 

 

Und wie geht es weiter?

 

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